Die humanoide Herausforderung


Leben und Existenz in einer anthropozänen Zukunft

Ein tieferer Blick in das Buch.

Veröffentlicht 2018 

ISBN: 978-3-658-17919-9 
ISBN: 978-3-658-17920-5 (eBook)

Aus dem Inhalt

Vorwort

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.
Da bleibe wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus.
Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Im Jahr 1841 schuf Emanuel Geibel das Gedicht zum Frühling, von dem die erste Strophe dieses Vorwort einleitet. Ein Jahr später wurde das Gedicht vonWilhelm Lyra vertont und noch ein Jahr später wurde es als Wanderlied populär. Bis in die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein war das Singen von Volksliedern in Volksschulen und auch höheren Bildungseinrichtungen fester Bestandteil des Musikunterrichts. Das Singen von Volksliedern verkörperte und stärkte einen kulturellen Zusammenhalt. Es war eine zutiefst humane Angelegenheit. Jedes Kind, aber auch jeder Erwachsene sang nicht mechanisch den buchstabengetreuen Text.

Die Melodie hatte diesem noch einige zusätzliche schwungvolle Tonvariationen verpasst. So wurde zum Beispiel aus dem reinen Text der gesungene Text „[. . . ] Wie die Woholken dort wahandern am hihimmlihichehen Zelt [. . . ]“.Die Gefühle, die Menschen mit dem Singen des Liedes verbanden – vielleicht auch heute noch verbinden –, waren so zahlreich wie die Gesangssolisten.
Die Ganzheitlichkeit des Wohlbefindens war beim Singen für Momente deutlich zu spüren; erst recht, wenn in natürlicher Umwelt, in sich selbst organisierendenWäldern oder entlang arten- und blütenreicher Wiesen gesungen wurde – fern von alltäglichen Zwängen.

Der Schreibtisch im Arbeitszimmer ist so ein Zwang. Auf und neben dem Schreibtisch liegen Stapel von Büchern, Fachzeitschriften und kopierten Blättern aus Fachartikeln, handschriftliche Notizen, verteilt auf unzähligen kleinen farbigen Klebezetteln, auch einige DVDs (Digital Versatile Disk, also ein digitales vielseitiges optisches Speichermedium in Form einer Scheibe) mit Dokumentationen zu Buchkapiteln. Mit anderen Worten: Es herrscht ein konzentriertes Chaos mit kleinen Inseln von Ordnung darin.

Das Schreiben eines Buches ist unstreitig keine rein mechanische Angelegenheit. Man könnte sie aber zu einer machen! Schließlich haben Ingenieure, Mathematiker und Informatiker die Technik der Robotik relativ weit entwickelt.
Die programmierten Algorithmen eines Schreibautomaten schöpfen aus dem künstlichen Gedächtnis eine Unzahl von Textbausteinen, die je nach Zielvorgabe in eine sinngebende Syntax übersetzt und niedergeschrieben bzw. ausgedruckt werden. Mit intelligenten Speichermedien, Big Data, künstlicher Intelligenz, künstlichen neuronalen Netze und anderen Techniken mehr könnten Humanoide (Menschenähnliche) die kompliziertesten Musikstücke, Gedichte, Romane oder Sachbuchtexte einschließlich damit verbundener Fotos und Grafiken im Handumdrehen aufs Papier bzw. auf den hochauflösenden „Retina-Bildschirm“ zaubern.

Einige Fragen bleiben aber noch offen: Können derartige Humanoide auch die Gefühle, die Gedanken, die den Menschen bei seiner kreativen Arbeiten begleiten und die auf irgendeine Weise in die Ergebnisse seiner Arbeit einfließen, transportieren? Können Humanoide auch die hochkomplexenUmwelteinflüsse, in der sich dieMenschen – nicht nur – während der Arbeitsphasen befinden und die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Menschen als ganzheitliche soziale Lebewesen ausüben, ebenso berücksichtigen? Zweifel sind durchaus angebracht. Das humane Bewusstsein will erst noch humanoid erobert werden.

Wer hat die folgende Situation nicht schon erlebt: Gefesselt an die Schreibtischarbeit – nahe am Thema – will sich auch über Stunden kein entscheidender Fortschritt einstellen. Ideen sind wie weggeblasen. Was tun? Die Erinnerung daran, dass neue Umgebungen neue Einflüsse auf uns Menschen ausüben, wie weiter oben angedeutet, lässt einen Umgebungswechsel sinnvoll erscheinen. Also: hinaus in die Natur, sich bewegen, mobil sein, weit weg von der eigentlichen Schreibtischarbeit, und hoffen, dadurch neue Anregungen für den stockenden Fortschritt des Buchschreibens zu bekommen.

Im nahegelegenen Bürgerpark, einem mit vielen verschiedenen Baumarten und Sträuchern angelegten Erholungsgebiet mitten in der Stadt, empfängt einen – besonders in den Morgenstunden – ein Konzert variantenreicher Vogelstimmen. Kohlmeisen trällern mit Buchfinken, Rotkehlchen und Zilpzalpen um die Wette. Junge Amseln scheinen noch keine Angst vor Menschen zu haben, die sich bis auf weniger als 1m nähern. Das Laufen im artenreichen Park wird begleitet von angenehmen Gerüchen frisch gesägten Holzes. Gelegentlich kriechen kleine Nacktschnecken über denWeg, denen auszuweichen eine gewisse fallen hier und da von den Blättern der Bäume, man könnte sagen, fast gezielt zwischen Brillengläser und Augen. Die Wiesen duften und stehen in voller Blüte. An besonderen Stellen weisen Schilder auf das Nichtbetreten derWiesen hin, weil sie als Futtergras für freilebende Rehe angelegt wurden (s. Abb. Naturwiese, unten).

In unregelmäßigen Zeitabständen kommen einem Läuferinnen und Läufer entgegen. Nicht wenige tragen weiße oder andersfarbige Ohrstöpsel, durch die – mit kleinen technischen digitalenWunderwerken am Oberarm befestigt oder als „Handheld“ im eigentlichen Sinne – Musik oder andere künstliche Geräusche das Ohrinnere beschallen. Der Laufstil bzw. die sich wiederholenden Bein- und Armbewegungen scheinen perfekt gleichmäßig zu sein. Fast könnte man auf den Gedanken kommen, dass Humanoide kaum bessere Bewegungsmuster perfekter Gleichmäßigkeit erzeugen können. Ziehen wir den gesunden Menschenverstand zu Rate, den es in unserer digitalisierenden Welt noch gerüchteweise zu geben scheint, dann ist es verblüffend, wie viele Menschen sich bereits als Vorboten fremdgesteuerter humanoider Existenzen verstehen. Mehr als vier Milliarden von insgesamt 7,35 Mrd. Menschen sind gegenwärtig im Besitz eines Mobile Phone. Und der Trend zeigt nach oben.

Jedenfalls ist klar: Die unbeschreibliche Vielfalt der Eindrücke aus der Natur und Umwelt, die mit allen Sinnen berauschend aufgenommen werden können, wird von diesen Läuferinnen und Läufern bewusst völlig ausgeblendet. Aber es sind genau diese Einflüsse aus der belebten Natur – fern von der mechanischen Bucharbeit am Schreibtisch –, die unverhofft neue Ideen zum Vorschein bringen und zu neuen Gedankengängen für Texte und Grafiken führen, die in der Umgebung des Arbeitszimmers vermutlich kaum verarbeitet worden wären, und wenn doch, sicher erst mit mühevoller zeitlicher Verzögerung.

Aber auch der Aufenthalt in schönster Umgebung hat in unserem „zeitbeschleunigten“ Dasein ein Ende. Die feuchtwarme Luft im Bürgerpark erzeugt kurz vor Ende der Laufstrecke eine durch Lichtstreuung sichtbare Nebelwand, durch die in der Ferne eine diffuse Sonne in den frühen Maitag strahlt. Die herunterfallenden Ketten von Regentropfen scheinen an Intensität zuzunehmen. Unmittelbar danach ertönt ein schrilles piepsendes Geräusch aus den Baumkronen, das sich fallend auf den Boden zubewegt und dort mit blinkenden Lichtern ankommt und verstummt. Der Gegenstand ähnelt einem braun gefiederten Singvogel – vielleicht ein Zaunkönig, der von einem Kuckuck aus dem Nest geworfen wurde? Aber was bedeuten die blinkenden Lichter? Bei näherer Untersuchung zeigt sich ein perfekt modellierter Zaunkönigkörper, mit kleinsten LEDs (Licht emittierende Dioden, stromführende elektrische Bauteile) und einem Gewirr von Verdrahtungen.
Die Überraschung nach diesem Befund ist groß. Ein Animaloid? Eine künstliche Tierart in lebendiger biologischer Umgebung? Ein seltsamer Fund in der Natur! Bevor noch ausführlich darüber nachgedacht werden kann, verzieht sich der Nebel und eine große freiliegende Wiese breitet sich aus, an deren Rand wieder das bekannte Hinweisschild steht, diesmal mit einem Text – s. Abb. Digitalwiese, unten –, der überrascht.

Ist das ein Tagtraum? Oder spielt uns die Wahrnehmung einen Streich? War nicht vor kurzer Zeit noch alles biologisch und analog? Und nun erscheinen Umwelt und Natur als künstlich digitalisiert in einer täuschend realistischen Weise, so wie sie bisher unser Leben bestimmt?
Gottseidank löst sich diese Diffusion der Gedanken schnell auf und die wahre Realität ist wieder Herr des Geschehens. Der Weg zum Arbeitsplatz Schreibtisch nimmt einige neue Ideen mit in dieses Buch. Man kann sich noch auf sein bewährtes, über Jahrmillionen stetig weiterentwickeltes komplexes Gehirn verlassen – gelegentliche optische Täuschungen hin oder her. Die produktive Arbeit am Buch kann wieder aufgenommen werden – bis zum nächsten Waldlauf, fern vom eigentlichen Ort des Geschehens.

Einleitung

Sicher erinnern Sie sich noch an unbeschwerte, abwechslungsreiche Stunden bei Ihrem Spaziergang über ein Volksfest. Die Atmosphäre war bunt und schrill. Aus jeder Kirmesbude prasselte eine andere Musik in Ihre Ohren. Die Losbudenverkäufer hatte kaum mehr Stimme, sie überschlugen sich im Anbieten von Losen mit Sonderpreisen. Hier und da bleiben Sie stehen, um etwas zu essen, zu trinken oder Karussell zu fahren. Wild-West- Wasserrutschen und Achterbahnen haben es Ihnen angetan. Der Rausch der Geschwindigkeit, immer begleitet mit etwas Unsicherheit, macht den Reiz des Fahrens aus. Sie gehen in eines der großen Festzelte, in denen Musikkapellen bzw. Rock-Bands versuchen, sich gegenseitig in der Lautstärke zu übertreffen, sodass normale Gesprächslautstärke untergeht. Das Schlagen mit dem Hammer auf einen Metallstift (haut den Lukas) muss auch sein. Dabei saust – je nach Schlagstärke – eineMarkierung an einem Brett senkrecht in die Höhe, um Ihnen mit lustigen Worten wie „Supermann“ oder „Pantoffelheld“ anzuzeigen, wie physisch stark oder schwach Sie doch eigentlich sind.

Es ist ein Volksfest, bei dem alle Ihre Sinne angesprochen werden. In keiner Sekunde Ihres Rundgangs verspüren Sie auch nur den Hauch von Langeweile oder Müdigkeit, obwohl Sie bereits etliche Kilometer gelaufen sind. Ihre Neugier treibt Sie immer weiter über den Platz, um Neues zu sehen, sich im Spiegelkabinett zu beweisen oder mit der Geisterbahn Gruseleffekte zu erleben, die Ihren ganzen Körper zittern lassen.

In gewisser Weise begeben Sie sich beim Lesen der folgenden Kapitel auch auf eine Art Reise über ein gesellschaftliches „Volksfest“ – nur mit anderen Beteiligten. Menschen – Humane – und Menschenähnliche – Humanoide – sind die beiden Pole in einem Zeitalter zunehmender Unsicherheit und Ungewissheit. Menschen sind – trotz hinreichender Erkenntnisse – aktiv dabei, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Das Zeitalter des ANTHROPOZÄN sagt nichts anderes aus. Zwischen den beiden Polen Mensch und Humanoide (im erweiterten Sinn zählen zu Humanoiden sowohl menschenähnliche Schreitroboter als auch sich rollend fortbewegende Roboter in vager Menschengestalt) besteht ein komplexes Netzwerk aus Haupt- und Nebenverknüpfungen. Nur leiten diese Hauptwege Sie nicht von Karussell zum Karussell, sondern direkt oder indirekt zu techni- schen, wissenschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Erkenntnissen, vorteilhaften Lösungen, Problemen, aber auch Ängsten und Befürchtungen. Innerhalb der Einzelkapitel werden Sie verführt, viele Nebenwege oder kleine Trampelpfade zu gehen, die zu überraschenden Erkenntnissen führen oder führen können.

So ähnlich, wie Sie mit allen Ihren Sinnen ein Volksfest wahrnehmen, so möchte ich Sie durch das Wegenetz von humanen und humanoiden Verknüpfungen führen. Nicht die Fokussierung auf einzelne Vor- und Nachteile, die in diesem Wirkungsnetz auch besprochen werden, ist grundlegend, sondern erst durch das Erkennen von Zusammenhängen und deren Wirkungsauslösungen zeigt sich der wahre Kern in dieser komplexen HUMANEN und HUMANOIDEN Umwelt.

Eine überlieferte, vielfach bekannte Weisheit des Zen-Buddhismus besagt:

Wenn Du in Eile bist, mache einen Umweg.

Die folgenden Kapitel bieten dazu ausreichend Gelegenheit. Schließlich ist auch derWeg des Lebens nicht immer geradlinig. Es verläuft um viele Ecken, durch viele Kurven, sozusagen in Mäandern entlang einer Zeitlinie. Auf dem Weg durch dieses Sachbuch verbergen sich hinter den Kurven der Kapitel gelegentlich neue Erkenntnissen aus anderen Disziplinen, die in einem streng strukturierten Fachbuch kaum vorkommen. An dieser Stelle kann daher nur auf das reichhaltige Fachbuchreservoir über Robotik und noch mehr Konferenzen zum Thema verwiesen werden.

Das vorliegende Sachbuch „Die humanoide Herausforderung – Leben und Existenz in einer anthropozänen Zukunft“ verknüpft zwei dominante gesellschaftliche Einflusssphären miteinander: Natur und Technik oder Umwelt und Digitalisierung. Daraus ergibt sich ein Kosmos von interdisziplinärem bzw. intradisziplinäremWissen, durch den viele Fachdisziplinen angesprochen werden. DerWissensprofit wird aber dadurch nicht einseitig auf Ingenieure gelenkt, die sich neben anderen Zielen mit neuesten Technikvariationen von mehrdimensionalen Steuerungsprozessen im Raum gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Unstreitig tragen derartige Ingenieurleistungen auch zum Fortschritt der Robotik bei – aber eben nicht ausschließlich.

Den geneigten Leserinnen und Lesern wird aufgrund der Vielfalt der angesprochenen Themenkomplexe auch ein Glossar – am Ende des Buches – mitgegeben, in dem Begriffe verschiedenster Disziplinen verständlich erklärt werden.

Drei römisch bezifferte Hauptbereiche teilen den Buchinhalt nach

I Anforderungen

II Veränderungen und

III Entspannungen.

Unter I Anforderungen werden grundlegende Erkenntnisse der humanoiden Robotik beschrieben, wobei wir historisch bis in die Zeit der Renaissance Leonardo da Vincis und davor zurückblicken. Es folgt ein Kapitel über analoge und digitale Prozesse bei Menschen und Robotern, um anschließend auf das grundlegende Thema Anthropozän und seine Folgen einzugehen, an denen Menschen ursächlich beteiligt sind und in das humanoide Roboter hineinwachsen. Fundamentale Treiber des Lebens und der Robotik wie Energie, Stoffe und Informationen werden ausführlich behandelt. Das Folgekapitel befasst sich mit drei besonderen Themenkomplexen zu Risiko, Ethik und Recht, die insbesondere bei Mensch-Roboter-Interaktionen noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen.

Unter II Veränderungen subsummieren sich Optimierungsstrategien für Menschen und Humanoide, die – verknüpft mit sogenannter künstlicher Intelligenz – unterschiedliche Ziele und Anwendungen verfolgen. Außerdem werden tierische und pflanzliche Roboter als kleine digitale Helfer des Menschen präsentiert. Es folgt das Kapitel Arbeiten und arbeiten lassen, in dem die kollaborierenden Arbeitsprozesse zwischenMensch und Roboter und damit zusammenhängende Kriterien herausgestellt und beschrieben werden. Dieses arbeitsspezifische Tätigkeitsumfeld von Mensch und Roboter wird anschließend erweitert durch den Bereich Freizeitaktivitäten.

Unter III Entspannungen fragen wir nach Muße im digitalisierenden humanoiden Anthropozän und ob sie überhaupt im ursprünglichenWortsinn fürMenschen erreicht werden kann. Das letzte Themenkapitel nimmt Entspannungen im optischen Sinn wahr. Es weitet den Blick fürs Ganze und widmet sich der Frage: Wem gerät die Digitalisierung und Robotik im Anthropozän zum Vorteil und welche grundlegenden Beziehungen sind zu berücksichtigen, um nachhaltige Entwicklungen anzustoßen, ohne Gefahr zu laufen, in Katastrophen zu enden?

Was ist humanoide Existenz?

Um die Probleme der Zukunft zu bewältigen, schafft sich der Mensch einen Partner: den Roboter – eine perfekte Maschine, dem Menschen so ähnlich, dass es fast unmöglich ist, das Geschöpf von seinem Schöpfer zu unterscheiden. Die ausgeklügelte Programmierung des positronischen24 Gehirns sorgt dafür, dass der Roboter als Beschützer des Menschen fungiert, und zuweilen kommt es sogar vor, dass Mensch und Maschine zu Freunden werden. Was aber geschieht, wenn die Programmierung fehlerhaft ist? Kurztext zum Buch v. I. Asimov: Meine Freunde die Roboter.

Bukimi no tani –MasahiroMoris Tal der Unheimlichkeit.

Wer fürchtet sich heute noch, im tiefdunklen Wald alleine spazieren zu gehen, zumal Geräusche in unsere Ohren dringen, die wir Stadtmenschen nicht kennen und daher auch deren potenzielle Gefahr für uns nicht einschätzen können? Hand aufs Herz! Obwohl heute in dunkler Nacht im Wald Angst irreal erscheinen mag – in dunklen belebten Stadtbezirken dagegen aber umso realer –, steckt trotz allem tief in uns noch immer ein Funken Urangst. Es ist ein evolutionäres Erbe unserer Vorfahren, das sie in früheren Jahrhunderten wachsam und hochachtsam werden ließ, eben weil echte Gefahren drohten. Auch heute empfinden wir in bestimmten Situationen voller Unsicherheit, Unwissenheit und Unachtsamkeit noch hier und da ein unheimliches Gefühl.

Bezog sich dieses menschliche Gefühl bislang auf die evolutionäre Entwicklung und seine biosphärischen Mitspieler, auf eine Umwelt mit Menschen, Tieren und Pflanzen, so wird dieses Gefühl nun erweitert durch eine digitale Sphäre mit humanoiden Existenzen, mit teils verblüffend menschenvergleichbarem Aussehen und Bewegungen. Kommt durch diese Entwicklung humanoider Existenzen eine neue Art von Angstgefühl in uns auf?

Üben wir in Kommunikation, Kooperation oder Kollaboration mit Humanoiden eher Zurückhaltung oder eher Vertrautheit bzw. Verbundenheit oder wählen wir einen gesunden Mittelweg?

Titelbild der IEEE-Zeitschrift v. Juni 2012 mit einer Bunraku-Puppe. Bunraku ist eine traditionelle japanische Form eines musikalischen Puppentheaterspiels.

Masahiro Moris Bukimi no tani (Tal der Unheimlichkeit, eine präzisere Übersetzung als das unheimliche Tal, englisch: Uncanny Valley); deutsche Übersetzung der Begriffe d. d. A (Auswahl).

Kann KI alles was Menschen können? – Oder existieren Grenzen?

Wenn humanoide Roboter eines Tages mit Menschen intelligent zusammenleben und zusammenarbeiten sollen, in einem Ausmaß, von dem heutzutage allererste Versuche stattfinden, müssen sie vor allem eines: sich ein Bild vomMenschen machen können, damit sie eine hinreichende Sensibilität im Umgang mit Menschen zeigen. Kognitive Fähigkeiten, in Form von funktionalistischen, konnektionistischen und handlungsorientierten Ansätzen sind dafür die Voraussetzung, wie Mainzer schreibt (2016, 142).

Für den funktionalistischen Ansatz zeigt sich eine grundlegende Grenze: „Ein Roboter dieser Art benötigt nämlich eine vollständige symbolische Repräsentation der Außenwelt (den besten Informationsspeicher über die wirkliche Welt, wie es Keil nannte, s. o.), die ständig angepasst werden muss, wenn die Position des Roboters sich ändert.“ (ebd. 143). Menschen reagieren demgegenüber sensorisch-körperlich mit der Umwelt, worin auch unbewusste Handlungen eingeschlossen sind, die einem Humanoiden mit rationalen Gedanken, gekoppelt mit internem Symbolspeicher, fremd bleiben.

Für den konnektionistischen Ansatz ist die kommunikative Wechselwirkung statt der Symbolik zwischen Kommunizierenden von Bedeutung, aus denen sich Handlungsmuster und Emergenzen ableiten lassen.

Für den handlungsorientierten Ansatz „[. . . ] steht (gegenüber den beiden vorab genannten Ansätzen kognitiver Fähigkeiten) die Einbettung des Roboterkörpers in seine Umwelt im Vordergrund.“ (ebd. 144).

Können die Menschen Humanoiden Intelligenz im menschlichen Sinn geben, mit allen vor- und Nachteilen, die damit verbunden sind, oder sollten Menschen dieses Ziel nicht weiter verfolgen oder nur eingeschränkt verfolgen und stattdessen – wie es der italienische Philosoph Casati in einem Interview vorschlägt – lernen, „[. . . ] die Vermenschlichung des Maschinenverhaltens endlich abzulegen“ (Casati 2015, 88) und ihre Dummheit als Stärke nutzen (so der leicht abgewandelte Titel des Interviews)?!