Kybernetik – Lehrbuch


Eine transdisziplinäre Einführung.

Ein tieferer Einblick in das Buch.

Veröffentlicht 2019

ISBN: 978-3-658-23724-0 
ISBN: 978-3-658-23725-7 (eBook)

Aus dem Inhalt

Vorwort

Die Wanderung durch das Weltall bleibt einigen wenigen Menschen vorbehalten. Sie alle stimmen darin überein, dass sie mit Blick von außen auf die blaue Erde einen überaus zerbrechlichen Planeten sehen, der nur durch eine hauchdünne Schicht, die Ozonschicht (O3), unser Leben nicht nur schützt, sondern auch die Weiterentwicklung garantiert. Erst der Blick aus dem Weltall auf die ganze Erde lässt uns ehrfürchtig werden vor der Leistung des Lebens und zugleich ängstlich werden vor Gefahren, die Leben zerstören.

Nehmen wir einen Standpunkt auf der Erdoberfläche ein, die wir bevölkern, so erkennen wir seine unermessliche Vielfalt von Leben (Biodiversität), das über Jahrmilliarden evolutionären Fortschrittes, von einer Entwicklungsstufe zur nächsten, vorangeschritten ist. Dieser Evolutionsdruck ist auch der Lebens- und Überlebensgarant für uns Menschen, die wir, dank erworbener Fähigkeiten, in der Lage sind, einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu werfen, um vorausschauend denken und handeln zu können.

Dringen wir tiefer, vom makroskopischen in den mikroskopischen Raum, so erkennen wir in jeder einzelnen lebenden Zelle eines organischen Körpers eine Vielzahl Prozessabläufe, die alle – in bestimmten Grenzen – mit weitreichenden Vernetzungen zum individuellen und kollektiven Fortschritt auf unserem Planeten beitragen. Die Vorstellung, dass jeder biologische Organismus, insbesondere der menschliche, in seiner Funktion einem Mechanismus gleicht, der dem Räderwerk einer Uhr ähnlich ist, wie es noch im 16. und 17. Jahrhundert, z. B. durch den Philosophen und Mathematiker René Descartes (1596–1650), suggeriert wurde, ist längst überholt. Heute wissen wir von Pilzgeflechten im Boden, die sich über Quadratkilometer ausbreiten und gegenseitig Signale senden. Ähnliche Informationsaustauschprozesse sind von Bäumen untereinander bekannt, die sich z. B. über herannahende Fressfeinde vorab durch chemische bzw. elektrische Signale austauschen. Noch lange sind nicht alle Geheimnisse der Natur gelüftet. Aber eine Tatsache überlagert alle vorab eingenommenen Standpunkte, mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Natur bzw. das Leben:

Unsere Welt, konkreter: unsere Erde ist ein vernetztes System, durchflochten von unendlich vielen Kommunikationen. Kommunizieren ist neben stofflichen und energetischen Prozessen eine von drei grundlegenden Vorgängen, ohne die kein Leben existieren würde.

Kommunikation ist alles! Ohne Kommunikation ist alles nichts.

Die dynamischen, sich adaptiv weiterentwickelnden Strukturen und Abläufe von Kommunikation unserer vernetzten Erde, mit ihren biologischen vielfältigen Erscheinungsformen, sind wohl austariert. Sie dienen einem differenzierten Fortschritt aller und schließen keinen Organismus aus. Daraus wächst die Erkenntnis:

Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde. (https://de.wikiquote.org/ wiki/Ganzes, ausführliches Zitat von Aristoteles: aus Metaphysik VII 10, 1041 b. Zugegriffen am 06.02.2018)

Kurz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Kommunikation, wie die Evolution sie betreibt, ist keine Singularität (!), sondern ganzheitlich vernetzt. Allein die Tatsache, dass unsere komplexe, sich ständig wandelnde Umwelt eine permanente Anpassung an die Dinge erforderlich macht, stellt sie, die evolutionäre Kommunikation, als ein nicht zu überbietendes Fortschrittsvorbild heraus.

Der Mathematiker und Kybernetiker Norbert Wiener, von dem in Kap. 4 noch ausführlich die Rede sein wird, schuf mit seinem Werk aus 1948/1961 (1. deutsche Auflage 1963): CYBERNETICS or control and communication in the animal and the machine (deutsch: KYBERNETIK Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und in der Maschine)eine Kommunikationsbrücke zwischen Natur und Technik. Seine Forschungsarbeitenführten unter anderem zu einer Erkenntnis, die als zentrales Merkmal kommunikativer Prozesse, wo immer sie vorkommen, herausgestellt werden kann: die Rückkopplung.

Einleitung und Lernziele

Dieses Lehrbuch über „Kybernetische Welten“ könnte auch überschrieben werden mit: „Die Macht der negativen Rückkopplung“. Negative Rückkopplung ist ein zwischen mindestens zwei Subjekten bzw. Objekten ablaufender Vorgang, der eine verstärkende und eine ausgleichende Wirkung miteinander verknüpft.

Folgendes Beispiel ist dafür typisch:
Der Abteilungsleiter Müller provoziert seine Mitarbeiterin Frau Meier mit dem verstärkenden Vorwurf: „Schon wieder ist die Produktion an der Maschine unvollständig und fehlerhaft!“ Frau Meier antwortet ausgleichend, dass ihr das bewusst sei und sie bereits mit der Fehlersuche begonnen und weitere Fachkollegen zu Rate gezogen habe. Positive Rückkopplung ist ein zwischen mindestens zwei Subjekten bzw. Objekten ablaufender Vorgang, der zwei gegenläufige verstärkende Wirkungen miteinander verknüpft.

Folgendes Beispiel ist dafür typisch:
Der Abteilungsleiter Müller provoziert seine Mitarbeiterin Frau Meier mit demselben verstärkenden Vorwurf wie im Beispiel vorab, nur dass Frau Meier nun Herrn Müller ebenso verstärkend vorwirft, seine Vorgaben für die Maschinenproduktion seien unpräzise gewesen, worauf wiederum Herr Müller verstärkend antwortet, dass sie nicht die Qualifikation besitze, dies zu beurteilen, worauf Frau Meier sich diese Unterstellung verbittet und mit dem Gang zu Herrn Müllers Vorgesetzten droht … usw.

Negative Rückkopplungen werden wegen ihrer vernetzten stabilisierenden Wirkung auch „Engelskreise“ genannt.

Positive Rückkopplungen werden wegen ihrer vernetzten aufschaukelnden – nicht selten konfliktträchtigen – Wirkung auch „Teufelskreise“ genannt.

Kybernetische Wirkungsnetze

Je komplexer ein – wie auch immer geartetes – System ist, je Höhe deren Zahl von Einflüssen sich in einem vernetzen Verbund aus gegenseitigen Wirkungen untereinander befindet, desto entscheidender für die Systemstabilität, die Systemrobustheit und den Systemfortschritt ist ein wohl ausgewogenes Verhältnis von positiven und negativen Rückkopplungen!

Das betrifft soziotechnische Unternehmen mit 100 bzw. 1000 arbeitende Personen chemische Fabriken, mit einer unübersehbaren Zahl Rohrleitungen, Schiebern, Ventilen, Verzweigungen etc., bürokratische Verwaltung einer Millionenstadt u. v. m.
System dieser Art sind hochkomplex, d. h. sie ändern mit der Zeit – auch durch unerwartete Eregnisse – ihren Zustand und sind daher schwer zu kontrollieren.

Besteht zwischen den sogenannten Systemelementen – ob Mensch oder Maschine – in einem System keine ausgewogene Systemstabilität (z. B. durch positive und negative Rückkopplung), kommt es nicht selten zu Störungen, die sich zu Risiken größten Ausmaßes ausweiten können.

Bekannte Unglücksfälle in Chemie- oder Energie-Kraft-Werken führten bereits zu zahlreichen Toten und Verletzten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatten daran auch fehlende „negative“ Rückkopplungen zwischen den Systemelementen ihren Einfluss.

Auch zeigen bürokratische „Monster“-Verwaltungen in öffentlichen Diensten bundes- und europaweit den Mangel an fehlertoleranten „negativen“ Rückkopplungen, auf Kosten enormer Mehrkosten und Zeitverzögerungen in Planung und Handlung.

Der Klimasektor und regenerative Energiesektor sind hier herausragende Beispiele bürokratischer Fehlleistungen.

Die folgende beiden Abb. zeigen realitätsnahe Wirkungsnetze, in denen positive und negative Rückkopplungen miteinander für eine ausgewogene Stabilität des jeweiligen Systems führen können.

Kybernetisches System mit negativen Rückkopplungen an einem Modellierungsbeispiel aus dem sozialen Umfeld. (Quelle: Küppers und Küppers 2016, S. 38)

Kybernetik eines kommunalen/regionalen Haushaltes

Gegenwärtige Unternehmen bzw. Bürokratien sind jedoch noch weit entfernt von diesem ganzheitlichen risikovorbeugenden Vorgehen. – Leider, denn die zunehmenden Katastrophen durch unsere mangehafte Klima-Anpassung nehmen keinerlei Rücksicht auf die Trägheit politischer und ökonomischer Entscheidungsträger!

Kybernetik und Bildung – Lernbiologie als Chance

Generell ist Bildung für Menschen ein lebenslanges Unterfangen, ein Streben nach Bildung und mehr Bildung und noch mehr Bildung, im Rahmen der Möglichkeiten, die jemand besitzt und/oder die ihm/ihr geboten werden. Dies führt direkt zu einem überlieferten schwedischen Sprichwort, indem neben dem Mitschüler und der Lehrperson der umgebende Raum als dritter Lehrer genannt wird (Hlebaina 2015). Eine kybernetisch orientierte, ganzheitliche Bildungstheorie zeigt die folgende Abb.

Erweitertes kybernetisches Unterrichtsmodell. (Quelle: nach Cube 1986, S. 49, ergänzt d. d. A.)

Ohne zu weit abzuschweifen vom Kern des Kapitels „Kybernetik und Bildung“ ist es doch angebracht, nicht zuletzt auch wegen des Menschenrechts auf Bildung, auf einen der kritischsten Geister und Streiter für eine neue Schule zu verweisen, die er mit der „Glockseeschule“ in Hannover 1972 verwirklicht hat: Oskar Negt. In seiner Streitschrift aus 2013 „Philosophie des aufrechten Gangs“ spricht er wie so oft mit klaren Worten die Missstände – diesmal im Bildungsbereich – offen an. In seiner Rezension zum Buch schreibt Schnurer (2014):

Interesse dürften auch die Erfahrungen hervorrufen, die Oskar Negt zur Frage „Schulversuch und Regelschule“ vermittelt, insbesondere, wenn es um die Übertragbarkeit der Erfahrungen, Konzepte und didaktisch-methodischen Instrumente geht.

Bedeutsam und unverzichtbar dabei ist der Hinweis, dass schulisches Lernen, Bildung und Erziehung niemals neutral, also unverbindlich sich vollziehen darf, sondern Ziele beinhalten muss, wie sie in der Glocksee-Schule voran stehen: „Herstellung von Zusammenhang im Lernen, Vergrößerung der Autonomiefähigkeit der Menschen, Aufhebung von Vorurteilen, Mut, Toleranz, Geduld im Aushandeln von Kompromissen …“

Das eine neue Lernmethode nämlich die des digitalen Lernens in diesen Kontext mit einbezogen werden muss, scheint selbstverständlich, ist aber noch weit von der Realität entfernt.

Ein weiterer Ansatz zu Kybernetik und Bildung ist die „Lernbiologie nach Vester“ (1989). In seinem 1976 verfassten Aufsatz „Chance Lernbiologie. Krisenbewältigung durch richtiges Lernen“ (Vester 1989, S. 44–73) erklärt Frederic Vester, dass in der hochgradig vernetzten Umwelt für alle Lebewesen Informationsaustausch, -verarbeitung und Lernen einen wichtigen Platz für das Überleben einnehmen. Aus einer zitierten Studie zur mangelhaften Erkennung von Krisenzeichen unserer Zivilisation (ebd., S. 45–46) folgert Vester:

Bei der Untersuchung der Gründe, für die Unfähigkeit, die Situation unserer Industriegesellschaft zu begreifen, gewisse bestimmte Zusammenhänge im Verhältnis Mensch/Umwelt zu erkennen, stoßen wir auf die eigenartigen Lernformen unserer Schule und deren weit zurückreichende historische Wurzeln. Die Ablösung des Geistigen vom Körperlichen, die in die gleiche Richtung gehende Herauslösung des Menschen aus unserer Umwelt nahmen mit der Entwicklung des Schulwesens immer extremere Formen an. […].

Ein Lernen ohne Einsatz des Organismus und damit ohne Einbeziehung der Umwelt ist aber widernatürlich und unökonomisch.