Grundlagen der Geoökologie


Erscheinungen und Prozesse in unserer Umwelt

Ein tieferer Einblick in das Buch.

Veröffentlicht 2000

ISBN: 3-540-65280-9

Aus dem Inhalt

Vorwort

Wir wollen bei Ihnen, lieber Leser, keine Unsicherheit aufkommen lassen: mit diesem Zitat soll nicht auf einen neuen Reiseführer eingestimmt werden. Ebenso wenig entfernen wir uns aber auch in den nachfolgenden Kapiteln von Problemen der Gebiete, die unser Fuß unter freiem Himmel erwandern kann.

Uns geht es um einen Blick auf die Erde und ihre Räume mit Augen, die genau genommen so neu nun auch nicht mehr sind. Wir wollen nur versuchen, einige dieser Sichten zusammenzustellen. Mit der Geoökologie hat sich in den letzten Jahren eine interdisziplinäre Naturwissenschaft entwickelt, welche die Aufklärung von Strukturen, Funktionsweisen und Wirkungszusammenhängen in unserer Umwelt zum Ziel hat. Ihre Denkweisen und Arbeitsmethoden entspringen einer Vielzahl von Wurzeln. Keine dieser Disziplinen kann für sich den Anspruch erheben, die Geoökologie vertreten zu wollen oder gar mit ihr identisch zu sein. Im Gegenteil, in Inhalten und Methoden setzt sie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus.

Leider existiert bisher (2000) für die komplexe Struktur dieses Faches keine in allen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweigen verständliche Fachsprache, die Theorienentwicklung ist ebenfalls unvollständig. Besteht aber nicht ein Grundsatz der Systemtheorie darin, daß aus dem Zusammenwirken von Elementen neue Eigenschaften entstehen, welche die Teile vorher nicht besaßen? Kann man für die Geoökologie qualitativ „neue“ Ansätze bestimmen?

Die breit gefächerte Ausbildung ist einer der Gründe, weshalb dieser Studiengang an den deutschen Hochschulen einer regen Nachfrage unterliegt. Diejenigen, welche sich für ihn entschieden haben, sitzen derzeitig in Deutschland an fünf Standorten mit Zwiespalt in den Hörsälen. Einerseits fühlt man sich einem auserwähltem Zirkel zugehörig, welcher in der Kombination seiner Studieninhalte Neuland beschreitet. Andererseits entsteht das Gefühl, ein „Universaldilettant“, zu sein, ohne tiefergehende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem ,,richtigen“ Fach. Infolge der stofflichen Vielfalt wird häufig das Fehlen einer inhaltlichen Klammer, eines „roten Fadens“ beklagt. Oft können selbst die Lehrenden nicht weiter helfen. In bezug auf ihr Fachgebiet geben sie jederzeit eine klare Antwort, Äußerungen zum Gegenstand der Geoökologie sind jedoch so vielfältig wie die wissenschaftliche Heimat der Befragten. Das ist nicht verwunderlich, viele Hochschullehrer haben andere Gebiete studiert, da die Geoökologie noch nicht als Studienfach existierte. Das waer im Jahr 2000.

Mehr als 20 Jahre später, 2023, hat sich u. a. in Potsdam, Tübingen, Bayreuth, Karlsruhe, Trier das Fachgebiet Geoökologie fest etabliert.

Gegenstand der Geoökologie.

Die Geoökologie ist eine umweltwissenschaftlich orientierte, interdisziplinäre Naturwissenschaft. Sie klärt Strukturen, Funktionsweisen und Wirkungszusammenhänge innerhalb der Geosysteme bzw. zwischen ihnen und ihrer Umwelt auf.

Das Geosystem unterscheidet sich erheblich von einem technischen System (vgl. HAUHS et al. 1998). Dessen Konstruktion (internale Struktur und Funktionsweise) ist grundsätzlich bekannt, bei seiner Neueinführung liegt das Problem in der Bewertung des Gebrauchs durch den Markt, indirekt in den Auswirkungen auf natürliche Nutzungspotentiale. Im Gegensatz hierzu ist die Kenntnis über das tatsächliche Potential eines Geosystems nicht aus irgendeiner Konstruktion ableitbar, obwohl durch an Schaltpläne erinnernde Regelkreise Analogien zu komplizierten technischen Systemen hergestellt werden. Es existiert ein historisch bekannt gewordenes Nutzungspotential. Seine völlige Rekonstruktion ist nicht möglich.

Damit sind Versuche, die Aufklärung von Geosystemen allein mit ingenieurwissenschaftlichen Ansätzen vornehmen zu wollen, von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Eine Gleichsetzung von Geo- und Ingenieurökologie führt wissenschaftsstrategisch in eine Sackgasse. Allerdings leisten Ingenieure einen hervorragenden Beitrag zur Regelung und Steuerung geoökologischer Teilprozesse insbesondere an der Schnittstelle zu technischen Systemen (vgl. hierzu z.B. BUSCH et a1. 1989). Umgekehrt können auch geoökologische Grundprinzipien die Entwicklung der Ingenieurwissenschaften maßgeblich beeinflussen. Aus diesen Gründen haben wir einen entsprechenden Abschnitt (Küppers, U., Cui bono? – Denkansätze und Problemlösungen der Bionik) in diesem Buch aufgenommen.

Zielbestimmung der Geoökologie.

Es besteht in dem Erwerb von Kenntnissen sowie der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Entwicklung von Strategien zur Minimierung aktueller und prognostischer Umweltrisiken. Folgende inhaltliche Schwerpunkte sind dabei von Interesse:

1. Ermittlung von Stabilitäts- und Instabilitätskriterien der Einzel- und Komplexprozesse, wobei der Eigenschaft der Metastabilität von Subsystemen (Untersystemen) und Elementen eine besondere Rolle zufällt (s. Kap. 3.1). Unter welchen Bedingungen bleiben diese stabil, unter welchen gehen sie in einen anderen Zustand über?

2. Aufdeckung von Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, s. Kap. 2.3), vor allem der Frage, welche Zustandsgrößen qualitativen und welche quantitativen Änderungen folgen.

3. Berücksichtigung von Spezifika der Raumhierarchie geosystemarer Strukturen. Inwieweit können Untersuchungs- und Simulationsergebnisse aus unterschiedlich dimensionierten Raumkompartimenten (s. Kap. 2.2.2) auf „in situ“Bedingungen (reale Bedingungen) übertragen werden?

4. Aufklärung der räumlichen Verteilungsfunktionen von Zustandsgrößen. Diese sind insbesondere bei Geosystemen, die durch die anthropogenen Einwirkungen stark überpraÅNgt wurden („hemerobe“ Geosysteme s. Kap. 3.3.2), als Basis für eine über die eindimensionale Modellbildung hinausgehende Charakterisierung von Interesse.

5. Berücksichtigung von Zeitaspekten. Treten ,,kritische“ Zustände auf, wann und in welchen Intervallen? Wenn ja, wie lassen sie sich meßtechnisch erfassen, theoretisch beschreiben bzw. vorhersagen (s. Kap. 4.1 – 4.3)?

6. Erörterung informationstheoretischer Spezifika. Welche Veränderungen im Informationsgehalt treten in den einzelnen Maßstabsebenen auf (s. Kap. 2.2.2)?Gibt es stochastische (zufallsabhängige) und chaotische Komponenten in Signalen (s. Kap. 2.2.1 und 2.3.1)?

Wie man sieht, sind die relevanten naturwissenschaftlichen Grundkategorien der Geoökologie Stoff, Energie, Information, Zeit und Raum.

Geoökologie im Netzwerk von Disziplinen.

Abb. 1 Der Gegenstand der Geoökologie im Spannungsfeld der Fachgebiet.

Leicht läßt sich feststellen: bei diesem Pensum ist eine Summation aller Kenntnisse und Methoden dieser Disziplinen nicht realisierbar. Somit bedarf es holistischer Ansätze. Die notwendigen Abstraktionen und Modellbildungen müssen Allgemeincharakter besitzen, so daß sie für das beteiligte Fächerspektrum vonInteresse sein können. Von den existenten naturwissenschaftlich-mathematischen Grundkonzepten tragen hierzu. das Systemkonzept, das Hierarchiekonzept, die Thermodynamik offener Systeme, das Synergetik-Konzept und das Evolutionskonzept bei. In ihren Verflechtung bilden sie die theoretische Basis der GeoÖkologie.

Mit der Einbeziehung dieser Ansätze wird in Forschung und Lehre teilweise wissenschaftliches Neuland beschritten (Stand 2000).

Auch ein methodisches Dilemma wird sichtbar. In aller Regel verführt ein erfolgversprechendes Arbeiten in der Geoökologie zu einer möglichst vollständigen Erfassung und Darstellung aller Elemente, Subsysteme und Interaktionen in den unterschiedlichen Dimensionsstufen sowie zu einer Berücksichtigung aller relevanten Zeitsequenzen (Zeitabfolgen). Eine möglichst frühzeitige Ermittlung des zwingend erforderlichen Informationsbedarfs hat nicht nur nachhaltige Auswirkungen auf die zu planenden Meßprogramme, es können damit auch spätere Fehlinterpretationen vermieden werden. Für die zielgerichtete Bearbeitung von Informationen ist ein umfangreiches Instrumentarium zu entwickeln. Die moderne Zeitreihenanalyse und die Geostatistik stellen dafür tragfähige Methoden bereit.

Zur Aufklärung der räumlichen Verteilungsfunktionen tragen die Geofernerkundung, die Geophysik, die mathematische Bildanalyse sowie ebenfalls wieder die Geostatistik bei. In Wechselwirkung mit den konkreten geoökologischen Problemfeldern bedarf es einer Weiterentwicklung dieser Methoden.

Cui bono? – Denkansätze und Problemlösungen der Bionik.

Wirkungsnetz Geowissenschaften – Ökologie – Bionik.

Die Forschungsergebnisse über den Aufbau unserer Erde, die Analysen über die Dynamik zwischen Erdkruste und Meere, die Enthüllung der höchst ökonomischen ,,Marktgesetze“ des Naturhaushalts und die aus der Natur ableitbaren analogen Bionik-Lösungen für Technik, Wirtschaft und Gesellschaft, – sie alle sind wissenschaftliche Ansätze zur Problemlösung, die sich auf ein grundlegendes Naturprinzip stützen: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (s. Kap. 2.3).

Komplexität, Vernetztheit, Rückkopplung, Mehrjachzielsetzung und der Faktor Zeit sind hierbei nur einige Einflußgrößen, die bei Hypothesen, Erklärungsmodellen und Lösungsstrategien im Rahmen geoökologischer und bionischer Ansätze berücksichtigt werden müssen.

Erkenntnisse über die Entwicklungsgeschichte der unbelebten und belebten Natur sowie der daraus resultierenden vielfältigen Wechselbeziehungen, ob man nun LOVELOCK’s (1993) Gaia-Hypothese von einem Organismus Erde unterstützt oder reserviert gegenüber steht, bilden nicht nur das Fundament für eine vergangenheitsorientierte ModelIierung der erdgeschichtlichen und biologischen Evolution.

Aus bionischer Sicht sind die seit Jahrmillionen bewährten Naturlösungen eine reichhaltige Fundgrube analoger Vorbilder, für zukunftsweisende Produkte, Verfahren und Organisationsformen, im Hinblick auf eine nachhaltige, umweltökonomische Weiterentwicklung des Lebens auf unserer Erde.

Eine sich weiterentwickelnde, intakte Natur ist und bleibt die gemeinsame Wissensbasis für das Fortbestehen der Disziplinen, mit denen wir uns im Rahmen des Buches auseinandersetzen Eine funktionierende Natur ist aber auch der Überlebensgarant für die Wirtschaft, auch wenn der gegenwärtige Trend wirtschaftlicher Globalisierung und Konzentration darauf keine Rücksicht zu nehmen scheint.

Diese Aussage galt 2000 genauso, wie sie gegenwärtig 2023, in noch verstärkten Maß, gilt. Ein Blick in »Diesseits und jenseits der Ökonomie« untermauert den heutigen Zustand wirtschaftlicher Globalisierung und Konzentration noch weiter.

Wir sollten uns daher nicht nur aus dem Antrieb eines rein funktionellen Verstehens heraus der Natur und unserer Umwelt nähern. Es bleibt auf absehbare Zeit das Spannungsfeld zwischen Natur und Wirtschaft, das unsere Weiterentwicklung entscheidend mit beeinflußt. Das Instrumentarium ökologischer Prinzipien und bionischer Strategien besteht in diesem Zusammenhang aus Werkzeugen zur Entwicklung umweltökonomischer Lösungen, die helfen können, Spannungen zwischen einem angepaßten nachhaltigen Naturmanagement und einer beschleunigten wirtschaftlichen „Globalisierung von oben“ abzubauen.